Flucht in die
Pflichtteilsergänzung
Viele Erblasser wenden Angehörigen bereits zu Lebzeiten Vermögenswerte unentgeltlich zu.
Das kann sinnvoll sein, zum Beispiel, um Steuerfreibeträge mehrfach zu nutzen.
Der Erblasser kann bestimmen, dass die Schenkung unter Erben ausgeglichen werden soll, die zugleich Abkömmlinge sind,
oder dass sie auf den Pflichtteil angerechnet werden soll. Wenn eine Schenkung unter den Erben auszugleichen ist, wird der
Wert der Schenkung dem Nachlass hinzugerechnet und die Erb- oder Pflichtteilsquote aus diesem fiktiven Nachlasswert
errechnet. Der Wert der Schenkung wird dann beim Erb- oder Pflichtteil des Beschenkten wieder abgezogen. Der Erbteil
der anderen Erben erhöht sich entsprechend. Die Ausgleichung erfolgt unter allen Abkömmlingen und führt zu einer
anderen Verteilung unter den Abkömmlingen. Sie erfolgt in gesetzlich bestimmten Einzelfällen oder wenn der Erblasser
die Ausgleichung bestimmt.
Die Anrechnung einer Schenkung auf den Pflichtteil wird genauso berechnet. Sie erfolgt aber für jeden Pflichtteilsberechtigten
getrennt. So findet keine Umverteilung statt, sondern die Pflichtteilslast für die Erben wird reduziert.
Die gewillkürte Ausgleichung oder Anrechnung müssen stets bei der Zuwendung bestimmt werden. Die Bestimmung sollte
so dokumentiert sein, dass die Erben sie im Streitfall nachweisen können. Eine nachträgliche einseitige Anordnung, zum Beispiel
im Testament, ist unwirksam. Der Erblasser kann den Angehörigen zwar auf den Pflichtteil setzen. Ein hoher Pflichtteilsanspruch
kann aber den Notverkauf von Nachlassgegenständen erforderlich machen.
Die Lösung kann die Flucht in die Pflichtteilsergänzung sein. Der Erblasser überträgt sein Vermögen zu Lebzeiten an diejenigen,
die er als Erben einsetzen will. Der Nachlass und damit der Pflichtteil verringern sich auf null. Dem Pflichtteilsberechtigten steht
ein Anspruch auf Pflichtteilsergänzung wegen den Schenkungen an die Erben zu. Von seinem Anspruch muss er sich nach
§ 2327 BGB seine eigene Schenkung in voller Höhe abziehen lassen. Zeitliche Beschränkungen bestehen nicht, so dass der
Pflichtteilsberechtigte sich alle Schenkungen abziehen lassen muss, die er je vom Erblasser erhalten hat. Der Abzug nach
§ 2327 BGB ersetzt eine bei der Schenkung unterbliebene Anrechnung oder Ausgleichung und führt zu stärkeren Abzügen
vom Pflichtteil, weil die Schenkung bei der Berechnung des Nachlasswertes nicht hinzugerechnet sondern lediglich vom
Pflichtteil abgezogen wird. Schließlich vermindert sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch wegen Schenkungen
jedes Jahr vor dem Tod um 10 %.